Gespräche mit dem Esel

Clarice Lispector notiert an den Setzer: „Verbessern Sie mich nicht. Die Interpunktion ist der Atem des Satzes, und meine Sätze atmen so. Und falls Sie mich komisch finden sollten, üben Sie trotzdem Respekt. Sogar ich selbst habe lernen müssen, mich zu respektieren.“ (50) Die Interpunktion im Text von Cixous ist das Erste, das auffällt, das mich stoppt, mich ins Stocken bringt. Was bedeuten diese zusätzlichen Zeichen, die den Text ganz anders unterbrechen als wir uns durch unsere Interpunktion gewohnt sind? Die zusätzlichen Zeichen nennt Cixous „die Tränen des Saint-Simon“, der nach dem Tod seiner Frau weinte und in seine Erinnerungen einsetzte. 42 verschiedene Tränen hat er notiert, Cixous hat ihrerseits acht hinzugefügt. (53) Diese Tränen-Interpunktionen beatmen den Text, mehr: sie verflüssigen ihn. Tränen sind „melting of words“ und machen den Text zu einem Tränenmeer.

Der Text von Cixous beginnt hingegen mit einer Reflexion, die von ihrer eigenen Kurzsichtigkeit ausgeht: „Der Blinde war immer mein Nächster, mein Verwandter und mein Entsetzen. Wenig fehlte und ich war er.“ (11) „Blind sehen“ heisst das Gespräch mit dem Esel. Dabei geht um das Sehen das aufbricht, das zu sehen, was der Sehende nicht sieht und was der Nicht-Sehende nicht sieht. Was sieht der Andere und was sieht derjenige, der nicht sieht? Um dieses andere Sehen zu erfahren, macht sich Cixous – zusammen mit dem Esel auf – und beginnt dieses Gespräch zu führen. Das Schreiben findet in dieser Passage statt, entsteht in dieser Transkription, in der das, was nicht-sichtbar und geheim/geheimnisvoll (secret) zur Sprache kommt und überhaupt erst Sprache wird, sich als Sprache erschafft (se crée). Dabei helfen Tiere(animaux/animots) ebenso wie Wörter. Die Wörter sind Passwörter, Cixous nennt sie Kofferwörter, die aus Anklängen und Verwandtschaften zu Wortbildungen und Wortkonfigurationen führen, die das Schreiben auf den Weg bringen, vielmehr, das Schreiben ist bereits unterwegs. Es schreibt sich. Es schreibt sich auf dem Weg zum anderen hin. Denn längst ist nicht mehr identifizierbar, wer da schreibt, ob ein Ich, ob der Andere. „Das Gender ist nicht bestimmbar... Niemand kann es sagen. Das ist es, was mich überwältigt... Der Text ist Zwiesprache.“ (67,69)

Hélène Cixous: Gespräch mit dem Esel. Blind schreiben.

Sonderzahl, Wien 2022

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