Die erstaunlichen Sinne der Tiere. Erkundungen einer unermesslichen Welt

Der Wissenschaftsjournalist (*1981) schreibt u.a. für The Atlantic. Seine Berichterstattung über das Corona-Virus wurde mit dem Pulitzerpreis und dem George Polk Award geehrt.

Jakob von Uexküll, ein Pionier des Umweltbegriffs, verglich den Körper des Tieres mit einem Haus, dessen viele Sinnesfenster den Blick auf den Garten draussen eröffnen. Ed Yong nimmt dieses Bild auf, blickt in elf Kapiteln durch ein Fenster nach dem anderen und geht der Frage nach, was jeden Sinn zu etwas Besonderem macht. Geruch und Geschmack, Sehen, Farben, Schmerzen, Wärme, Tasten, Vibrationen, Schall, elektrische Felder – alles Sinne, die auch dem Menschen eigen sind. Weiter: Echos von Ultraschallwellen (z.B. bei Fledermäusen) und Magnetfelder (z.B. bei gewissen Vögeln), die der Mensch nicht wahrnehmen kann. Die Leserin erfährt, wie viel Geschick, Geduld und Kreativität die einzelnen Forscher und Wissenschaftlerinnen an den Tag legen (z.B. beim Anbringen von reiskorngrossen Sendern auf winzigen Fledermäusen, oder beim Befestigen von Mikrofonen an Pflanzen, um die Vibrationsgesänge von Laubheuschrecken aufzuzeichnen). Man erfährt, dass Elefanten auf grosse Distanz über die von Artgenossen erzeugten Bodenvibrationen kommunizieren, während die Menschen aufgrund ihrer Lebensweise (Unterlagen, Stühle, Schuhe etc.) verlernt haben, die Bodenvibrationen zu spüren. Man lernt Tiere kennen, z.T. anhand von Fotos, die einem zoologischen Laien wie Wesen aus einem Fabeltierbuch anmuten (Buckelzirpen, Nacktmulle, Fangschreckenkrebse).

Das 12. Kapitel handelt vom „Zusammenfliessen der Sinne“. Als Beispiel dient eine Mücke, die über Geruch, Geschmack und Wärmesensoren eine Beute – sprich einen Menschen – ausfindig macht und sich an ihm gütlich tut.

Das 13. und letzte Kapitel regt sehr zum Nachdenken an. Ich greife hier folgende Stelle heraus:

„Wir haben die Nacht mit Licht gefüllt, die Stille mit Geräuschen, Boden und Wasser mit unbekannten Molekülen. Wir haben Tiere von dem abgelenkt, was sie eigentlich spüren müssten, haben die Anhaltspunkte ertränkt, auf die sie angewiesen sind, und sie in sensorische Fallen gelockt wie Motten in die Kerzenflamme.“ Ein trauriges Beispiel aus einem schrecklichen Anlass ist der „Tribute in Light“, eine Lichtinstallation mit 44 Xenonlampen und einer Stärke von 7000 Watt, die seit 2001 jährlich am 11. September an die Terroranschläge von 2001 erinnert. Das Licht ist noch aus einer Distanz von 100 km zu sehen. Man sieht Flecken, die in diesem Licht tanzen. Es sind Tausende von Vögeln, die desorientiert herumschwirren. Zum Thema Lichtverschmutzung informiert Ed Yong über Untersuchungen, wie man sie in den Griff bekommen könnte, zum Beispiel durch Austauschen des blauen durch gelbes oder rotes Licht, das die Tiere weniger irritieren würde.

Fazit: Ein dicht mit spannenden Informationen gepacktes, flüssig geschriebenes und gut übersetztes  Buch mit gesellschaftskritischer Komponente, das auch einen Einblick in die Arbeitsweise und die Freuden und Leiden der Wissenschaftlerinnen gibt.

-Colette Müller-Siemens

Ed Yong: Die erstaunlichen Sinne der Tiere. Erkundungen einer unermesslichen Welt.
München: Verlag Antje Kunstmann, 2022. 527 Seiten.

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